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Brot – bei uns kein Mythos

Der „Mythos vom guten Brot“ so heisst eine sehenswerte Dokumentation, die vor ein paar Tagen im ZDF ausgestrahlt wurde.

Das ZDF schreibt dazu in seiner Ankündigung:

„Mehl, Wasser, Salz und Hefe: Nur vier Grundzutaten braucht es für ein gutes deutsches Brot. Daraus backen Bäcker in Deutschland rund 3200 verschiedene Brote. Diese einzigartige Vielfalt macht die deutsche Brotkultur zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Doch mittlerweile haben sich die Gewohnheiten der Deutschen massiv verändert. Rund zwei Drittel aller Brote kaufen die Deutschen nämlich nicht mehr beim Bäcker, sondern in Supermärkten und Discountern ein. Preiswertes und frisch aufgebackenes Brot zu jeder Tageszeit: Damit zielen die Backstationen auf die Bequemlichkeit der Kunden. Und das hat Folgen. „Die Branche steht vor einem tiefgreifenden Strukturwandel“, sagt Michael Wippler vom Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks. Bäcker müssten sich spezialisieren und ihre Nische suchen. …

„planet e.“ besucht Traditionsbäckereien und riesige Backfabriken. Welche Unterschiede gibt es zwischen Broten vom Bäcker und aus der Fabrik? Und sind die Fertigbackwaren per se schlechter als die Handwerksware?“

wer die Doku verpasst hat, kann sie sich in der Mediathek des ZDF noch eine Weile ansehen:

https://www.zdf.de/dokumentation/planet-e/planet-e-der-mythos-vom-deutschen-brot-100.html?fbclid=IwAR0G9rveelI8xwm3Lsxn1gu5JqwzCC2HzP9XYjo2wvrqONCGxi3Imo5kcdY#xtor=CS5-22

 

ganz unkommentiert wollen wir den Mythos Brot dann doch nicht stehen lassen – unser Verein Die Freien Bäcker e.V. Zeit für Verantwortung schreibt dazu:

Das Brot – in Deutschland, Österreich oder anderswo – ein Mythos, eine Mogelpackung?

Oft trifft das leider zu. Doch nicht immer und überall. Zudem gibt es gute Nachrichten. Denn wenn Systeme an ihre Grenzen stoßen, verändern sie sich. Das merken wir grade in allen Lebensbereichen. Zu den Systemen, die sich im Wandel befinden, gehört auch die Art und Weise der Lebensmittelherstellung.

Wahr ist, dass auch das BROT – unser emotionalstes Grundnahrungsmittel – unter die Räder geraten ist. ‚Gedopte Laibe‘ und ‚aufgeblasene Wecken‘ sind das Ergebnis einer Lebens- und Produktionsweise, die von „schneller, schneller – mehr von allem, für weniger Geld –  frischer und größer – rund um die Uhr verfügbar“ geprägt ist. Das ging auch an Brot, Brötchen und der guten alten Seele* nicht vorbei.

Wir Bäcker und Bäckerinnen – zwar häufig nachtaktiv – sind dennoch Menschen wie jede*r andere. Auch wir sind in den letzten Jahrzehnten unter einen enormen Druck geraten. Unsere Situation ist vergleichbar mit der der Bauern und Bäuerinnen, die in Deutschland stündlich 1-2 Betriebe schließen müssen. Unsere Wirtschaftsweise und ihre Profiteure wollen uns suggerieren, wir müssten immer mehr produzieren und betrieblich wachsen. Morgens früh müssen Dutzende unterschiedlicher Gebäcksorten, zu denen selbstverständlich die neusten „Trendgebäcke“ mit exotischen Zutaten aus „Ganz-weit-weg“ gehören, warm und dampfend, im Regal liegen. Inzwischen muss im Laden gebacken werden, damit die Brötchen direkt aus dem Ofen verspeist werden können. Irrsinn – der ohne komplexe Backmittel, exogene Enzyme und andere industrielle Helferlein kaum machbar ist! Auch das ist vergleichbar mit der Landwirtschaft. Da heißen die ‚Backmittel‘ und ‚Prozessbeschleuniger‘ nur Hochleistungssaatgut, mineralischer Stickstoffdünger und Pestizide.

Treiber dieser Entwicklung waren und sind leider auch die offiziellen Berufsvertretungen – der Bäcker*innen wie auch der Bauern und Bäuerinnen. Warum? Dafür gibt es viele Gründe, doch  entscheidend ist das Fehlen zukunftsfester Leitbilder. Die zentrale Frage, die ein Leitbild für das Bäckerhandwerk beantworten muss heißt:

Warum backen wir Brot?

Sobald diese Frage aufkommt, wird meist sofort und oft gereizt entgegnet (nicht nur im Bäckerhandwerk): „Aber wir müssen doch wirtschaftlich arbeiten!“ Jawoll, das müssen wir! Doch dies ist eine Grundvoraussetzung und kann nicht das Motiv unserer handwerklichen Arbeit sein. Denn, sobald es vorrangig um Gewinnmaximierung und Wachstum statt um die Maximierung von Nutzen für unsere Kund*innen, unsere Nachkommen und Umwelt geht, ist scheinbar alles erlaubt. Die Folgen hat der ZDF Beitrag der Sendereihe ‚planet e‘ anschaulich dokumentiert.

Das Handwerk verliert zu Recht seine Existenzberechtigung, wenn es „den Göttern huldigt“, die auch die Denk- und Produktionsweisen der industriellen Lebensmittelhersteller bestimmen.

‚Handwerk‘ – im Sinne des Die Freien Bäcker e.V. – war und ist:

vielfältig an Wissen und Erfahrung – ist somit souverän und kommt ohne industrielle Inputs (wie exogene Enzyme und komplexe Backmittel) aus – ist in der Region verankert und deckt den Bedarf vor Ort – bildet aus, steht für lebenslanges Lernen, bietet sinnstiftende Arbeit vor Ort und zeigt hohes Engagement für die Gemeinschaft  – trägt zum Miteinander und zur Lebendigkeit in Dörfern und Stadtteilen bei – steht für komplexe, individuelle und innovative Lösungen – denkt in Generationen und ist „enkeltauglich“ – trägt in regionalen Wertschöpfungsketten, mit Transparenz und Verantwortung zu widerstandsfähigen Versorgungsstrukturen bei  – und, nicht zuletzt, versorgen Handwerksbäcker*innen ihre Kund*innen mit Lebensmitteln, die gesund für Mensch und Umwelt sind.

Uns freut, dass:

  • immer mehr junge Handwerker*innen die genannten Prinzipien wieder aufleben lassen;
  • Quereinsteiger*innen, die sich leidenschaftlich für die Geheimnisse von Getreide, Wasser und Mikroorganismen interessieren, die Branche beleben und
  • Sendungen wie ‚Der Mythos vom deutschen Brot‘ den Diskurs um die Zukunft des Backhandwerks – und um unsere Lebensgrundlagen – anfeuern.

Denn: „Beim Brot geht’s ums Ganze!“   https://www.youtube.com/watch?v=Dlq68B8KYY4

 

 

Besser lässt sich nicht ausdrücken, was uns dazu bringt, gutes Brot zu backen!

 

 

 

 

Published by:
Ruth
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